Begriff: Minne
Minne, vom althochdeutschen minna, bezeichnete ursprünglich „Gedenken”,
dann „liebendes Gedenken” und schließlich „Liebe”,
und zwar zunächst die helfende (erbarmende) Liebe und dann vor allem die
sinnliche Liebe zum anderen Geschlecht.
Der Minnesang
Minnesang ist eine Lyrik, die sich mit der ritterlich-höf. Kultur in
der 2.Hälfte des 12.Jh. entwickelt und den Höhepunkt in den Jahren
1180-1220 hatte. Neben dem höfischen Roman war der Minnesang die erste
wirkliche volkssprachliche Dichtung. In dieser Dichtung des hohen Mittelalters
ist die Minne das zentrale Motiv für ritterliches Handeln und Ausdruck
der Beziehung zwischen Mann und Frau bzw. Ritter und höfischer Dame. Im
Minnesang stellt sich die Gesellschaft selbst dar, dabei ist das Besondere
die Liebesauffassung. Minnesang ist ein Teil der Geselligkeit, er wird im Kreis
des Hofes, dem der Dichter angehört, vorgetragen, dadurch wird privates
Erleben öffentliches Ereignis. Eine biografische Authentizität ist
zwar nie auszuschließen, dürfte aber nur eine geringe Rolle spielen:
Minnesang ist kein romantischer Gefühlsausdruck, sondern ein ritterlich-ethisch
geprägtes Sprach- und Musikhobby.
Im Minnesang wird zwischen „ hoher Minne” und „niederer
Minne” unterschieden.
Die hohe Minne hat bestimmte idealisierte Regeln: Der Ritter
sieht sich im Dienste seiner meist unerreichbaren Geliebten zu Heldentaten
verpflichtet, und der Dienst für die Geliebte wird zur höchsten ethischen
Norm. Der ritterliche Sänger wirbt um die Gunst einer Dame, von der er
weiß und erwartet, dass sie sein werben nicht erhört, da sie eine
Ehefrau eines hohen Herrn ist. Diese Unerfüllbarkeit seines Strebens treibt
ihn zu immer neuen Steigerungen in seinen Liebesbekenntnissen und in der Anbetung
der Schönheit seiner Auserwählten. Ihre Aufgabe ist es zu ihm ein
ausbalanciertes Verhältnis ermutigender Nähe und abweisender Distanz
aufrecht zu erhalten. Es handelt sich bei dieser Form von Minnesang um das
Verzichtsverhalten des Mannes und die Unerreichbarkeit der Frau.
Aus der hohen Minne entwickelte sich ein neues Minnekonzept. Die niedere
Minne ist sozial und ethisch auf einer tieferen Stufe angesiedelt,
sie beinhaltet die Befriedigung des Liebestriebes.Sie beruht auf gegenseitiger
Zuneigung und nicht die Unterwerfung der Frau oder andersherum. In der niederen
Minne waren beide Partner gleichberechtigt. Wichtige Strukturmerkmale sind
die deutlich betonte Erotik und eine als gefährlich angedeutete Sit
uation. Illusionäres Festhalten an der Scheinwirklichkeit gegenüber
den unerbittlichen Forderungen der Tageswirklichkeit prägt die Haltung
der Sprechenden.
Beispiel: Falkenlied
Gedicht über einen Falken - Der von Kürenberg um 1160
Ich zôch mir einen valken mêre danne ein jâr.
Dô ich ihn gezamete als ich in wollte hân
Und ich im sîn gevidere Mit golde wol bewant,
er huop sich ûf vif hôhe und fluog in anderiu lant.
Sît sah ich den valken schône fliegen:
Er fuorte an sînem fuoze Sîdîne rîemen,
und was im sîn gevidere alrôt guldîn.
Got sende si zesamene die gerne geliep wellen sîn!" |
Ich zog mir einen Falken länger als ein Jahr.
Da ich ihn gezähmt hatte, so wie ich ihn haben wollte,
und ich ihm sein Gefieder mit Gold schön geschmückt,
da hob er sich in die Höhe und flog in ein anderes Land.
Seitdem sah ich den Falken schön fliegen:
Er führte an seinem Fuße seidene Riemen,
und es war in seinen Federn rotgoldenes Licht.
Gott sende die zusammen, Die gerne geliebt sein würden!" |
Liebe ist im frühen Minnesang der Frau als Fatum auferlegt. Deutlich
wird, wie die Darstellung des Leides, gerade indem sie der Frau selbst als
Rolle zugewiesen wird, ebenso wie die Sinnlichkeit ihres Wünschens und
Sprechens geeignet ist, das Prestige des Liebhabers zu steigern. Die Frauenstrophe
ist das Sprachrohr der männlichen Dominanz und Freiheit in der Minnebeziehung.
Indem der Sänger die Rolle der Frau inszeniert, kann er sich vor seinem
Publikum gar der Verantwortung für vielleicht Gewagtes augenzwinkernd
entziehen. Dieses von der Begrifflichkeit der Jagdfalknerei durchzogene Lied
verhüllt, was zu sagen ist, in bildlichem Geschehen, und doch ist alles
ganz offenbar: Der Geliebte, dessen sich die Frau sicher wähnte, hat sich
die Freiheit genommen, die des Mannes ist. In Sehnsucht und Einsamkeit der
Frau spiegelt sich die Ungebundenheit des adligen Liebhabers. Das Bild aber
objektiviert das Geschehen in seiner grundsätzlich männlichen Perspektive,
die ihm den Schmuck, der Frau aber die Klage belässt. Es ist das Gesetz
dieser archaischen Minne, das den Mann in die Freiheit, die Frau in das Leid
zwingt.
In diesen Dominanten der archaischen Minne verbergen sich lebensweltliche
Bezüge. Der Emotionsverzicht und die Triebunterdrückung in den politisch
motivierten Zwangsehen des Adels sind ebenso Hintergrund wie die Achtung des
Eros in der Ehe durch die kirchliche Morallehre: vehemens amator in propria
uxore iudicatur adulter (Ein eifriger Liebhaber muss auch bei der eigenen Ehefrau
als Ehebrecher bewertet werden). Der zeitgenössische französische
Liebestheoretiker Andreas Capellanus legt einer Dame des Hochadels die klare
Definition in den Mund, dass Liebe deshalb in der Ehe nicht verwirklicht werden
könne, weil diese einen vertragsmäßigen Zustand mit Rechten
und Pflichten darstelle. Das Konkubinat, die Friedelehe, die illegitime Liebesbeziehung
waren Instrumente und Praxis emotionaler Erfüllung und individueller Verwirklichung
in der aristokratischen Lebenswelt. Für den Adligen war die Liebe eine
adlige ars unter andern, der er nachging wie der Falknerei, der Jagd und dem
Krieg. Jagdmotiv und Kriegsmotiv erscheinen deswegen in der Liebesdichtung
des hohen Mittelalters so eng mit der Minne verschwistert.[...] Die Lebenspraxis
der adligen ars amatoria billigte jedoch Frau und Mann nicht die gleiche Freiheit
zu und bewertete gleiches Verhalten dementsprechend unterschiedlich. Die illegitime
Liebe steigerte das soziale Prestige des Mannes, das Risiko einer Wertminderung
vor den Augen der Gesellschaft trug der weibliche Partner. Der archaische Minnesang überformte
und überhöhte die ungleiche gesellschaftliche Praxis und die Wertvorstellungen
des Adels. In der Stilisierung des lebensweltlichen Bezugs bleibt jedoch sein
Kunstcharakter erhalten: Er ist nicht einfach als Reflex der Verhältnisse
abzuleiten. So ist etwa die Einschränkung der illegitimen Liebe auf die
verheiratete Frau der Realität nicht eigen; der Konflikt, aus dem der
Sang seinen ästhetischen Reiz bezieht, wird dadurch aber gesteigert. Es
handelt sich also um ein literarisches Muster, und gerade die Verengung gibt
die Intention des Sanges preis. [...] Minnesang und Minnedienst sind gesellschaftliches
Verhalten der Aristokratie, das sich - zwischen Ernst und Spiel schwingend
- zum Habitus ausbildet.
© (Aus: Henning Krauß: Europäisches Hochmittelalter,
Neues Handbuch der Llteraturwissenschaft, Bd. 7, S. 67)
Der Minnesänger
Unter den Minnesängern fanden sich manche Angehörige des Erbadels.
Diese freien Adelsherren brauchten weder um ihre gesellschaftliche Stellung
noch um den Lebensunterhalt besorgt zu sein. Aber die Mehrzahl der Minnesänger
entstammte dem ministerialen Dienstadel. Sie waren größtenteils
besitzlose, arme Ritter, auf Fürstengunst angewiesen und - von Ausnahmen
abgesehen - an keiner Stätte lange verweilend. Kein Wunder, dass in ihren
Strophen keine Fürstentugend so hoch gepriesen wird wie die milte,
die Freigebigkeit.
Ein bedeutender Sänger des Minnegesangs und Dichter politischer Lieder
war Walther von der Vogelweide. In seinen Minneliedern passte
er sich anfangs ganz dem Inhalt und der Form des höfischen Minnesangs
an. Später jedoch entwickelte er seine eigene Minnekonzeption. Seine neuen
Lieder sprechen von erfülltem Liebesglück, der Schönheit der
geliebten Frau und der Natur, die oft auf eine reizvolle Weise miteinander
verglichen werden.