Bezeichnung für die zur Revolution im März 1848 hinführende
literarische Epoche. Während ihr Ende mit der Revolution eindeutig datiert
ist, gibt es für ihren Beginn unterschiedliche Auffassungen. Drei Möglichkeiten
werden diskutiert.
- In Analogie zur Geschichtsschreibung umfasst Vormärz als literaturgeschichtlicher
Epochenbegriff die Periode von 1815 (Gründung des Deutschen Bundes)
bis 1848. Damit richtet sich der Begriff Vormärz zugleich gegen die
konkurrierenden Epochenbezeichnungen Biedermeier bzw. Restaurationszeit und
die ihnen innewohnende Gewichtung: Betonen diese Begriffe den restaurativen
Charakter der fürstlichen Politik im Deutschen Bund und die konservativ-beharrenden
kulturellen und literarischen Tendenzen als prägende Momente der Epoche,
so legt der Begriff Vormärz den Akzent auf die soziale und politische
Dynamik und die kritisch-oppositionellen bzw. revolutionären Literaturströmungen.
- Verbreiteter ist die Datierung der Epoche von der französischen Julirevolution
des Jahres 1830 bis zur Märzrevolution von 1848. Sie lässt sich
auch dadurch stützen, dass die politische Zäsur mit dem durch Goethes
Tod symbolisierten Ende der klassisch-romantischen Kunstperiode eine Bestätigung
auf literarischem Gebiet erhält. Als gemeinsamer Nenner der literarischen
Entwicklung in dieser Epoche gilt die zunehmende Politisierung und Radikalisierung,
die von der liberalen Publizistik der Jungdeutschen zur revolutionären
demokratischen Literatur (ab 1840) führt.
- Der Begriff Vormärz wird auf die Periode von 1840 bis 1848 eingegrenzt,
also auf die unmittelbar in die Revolution mündenden Jahre. Nach dem
Zerfall der jungdeutschen Bewegung und der literarischen und politischen
Stagnation nach 1835/36, setzten um 1840/41 neue Entwicklungen ein: Die so
genannte Rheinkrise von 1840 löste eine nationale Begeisterungswelle
aus, die Thronbesteigung von Friedrich Wilhelm IV. von Preußen weckte
politische Hoffnungen (1840 Amnestie für politische Vergehen, 1841 Lockerung
der Zensur), mit dem Auftreten der Jung- und Linkshegelianer, die den „illusionären
Liberalismus” des Jungen Deutschland verwarfen, erhielt die Politisierung
eine radikale, systemkritische Dimension. Allerdings war die Lockerung der
politischen Repressionsmaßnahmen nur von kurzer Dauer; die meisten
Autoren des Vormärz wurden für kürzere oder längere Zeit
ins Exil getrieben (Zürich, Brüssel, Paris, London).
Insbesondere die Lyrik erwies sich als wirkungsvolles Medium der politischen
Agitation; Georg Herwegh bezeichnete sie als „Vorläuferin der Tat”, „Waffe
für unsere Sache”. Freiheit, Verfassung, staatliche Einheit waren
ihre Themen. Große Resonanz erzielten die Gedichtsammlungen von Herwegh
(1841-1843, Gedichte eines Lebendigen), August Heinrich Hoffmann von Fallersleben
(1840/41, Unpolitische Lieder), Franz Dingelstedt (1841, Lieder eines kosmopolitischen
Nachtwächters) und Ferdinand Freiligrath (1844, Ein Glaubensbekenntnis;
1846, Ca ira!). Heinrich Heine distanzierte sich zwar von der direkten politischen
Instrumentalisierung der Lyrik („gereimte Zeitungsartikel”), legte
aber selbst mit seinem Zeitgedicht Die schlesischen Weber (1844) ein Beispiel
der anklagenden sozialen Literatur vor, die auf die Krisenphänomene der
Frühindustrialisierung reagierte und die aufkommenden sozialistischen
Tendenzen literarisch umsetzte. Erste theoretische Ansätze zu einer sozialistischen
Literaturwissenschaft formulierten Karl Marx und Friedrich Engels. Begleitet
von einer breiten sozialkritischen Publizistik, wandten sich neben der Lyrik
auch der Roman und die Novellistik der Behandlung sozialer Themen zu (Ernst
Dronke, Georg Werth, Ernst Willkomm).
©Volker Meid, Encarta
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